Hinter dem Verein „Rollende Engel“ stehen stille Helden, die Menschen in ihrer letzten Lebensphase einen Herzenswunsch erfüllen. Die Arbeit dieses Vereins hat eine ganz besondere Bedeutung, und ich hatte das Privileg, mit Florian Aichhorn, dem Gründer der „Rollenden Engel“, zu sprechen.
In unserem Gespräch erzählte er mir eine Geschichte, die den Ursprung dieser einzigartigen Initiative aufzeigte und diese möchte ich mit dir teilen:
Wie ist die Idee „Rollende Engel“ entstanden?
Florian: Ich war meiner Lieblingsbeschäftigung nachgegangen – dem Essen – und saß in meinem Lieblingslokal. Leider war kein Tisch frei, außer einem bei einer deutschen Urlauberfamilie: Mama, Papa und ein etwa achtjähriger Junge.
Beim Essen kamen wir ins Gespräch über den Urlaub, und ich habe den Jungen gefragt, was er später einmal beruflich machen möchte.
Seine Antwort war: „Nichts.“
Ich hab ihn dann gefragt, ob er denn keinen Berufswunsch hätte, und wieder kam nur: „Nein.“
Dann hat sich die Mutter eingemischt und erzählt, dass ihr Sohn schwer krank sei und laut den Ärzten eigentlich schon seit zwei Jahren „unter der Erde“ liegen sollte.
…
Mit dieser Geschichte startete Florian unser Interview. Ein Interview, das mich tief berührt hat.
Das Gespräch, das danach folgte, war nicht nur emotional, sondern auch unglaublich inspirierend. Ich habe viel erfahren – über Mut, über Menschlichkeit und darüber, wie wertvoll es ist, wenn jemand da ist, der einfach zuhört und hilft, letzte Wünsche wahr werden zu lassen.
Weil dieses Erlebnis so viel in mir ausgelöst hat, möchte ich es mit dir teilen. Vielleicht kennst auch du jemanden, der einen großen Wunsch hat – oder jemanden, der selbst zum Engel werden möchte … Aber lies selbst:
So ging das Gespräch zwischen Florian und der Familie weiter …
Florian: Da ist mir das Essen regelrecht im Hals stecken geblieben. Um das Gespräch zu retten, hab ich schnell gefragt:
„Was wäre denn ein großer Wunsch von dir? Was möchtest du unbedingt noch erleben?“
Der Junge hat mich mit großen Augen angeschaut und gesagt:
„Einmal im Leben mit einem Rallyeauto mitfahren – Gas geben, bremsen, Kurven schneiden, Reifen quietschen lassen.“
Ein Herzensmoment wird zum Startpunkt
Florian: Ich hab mich erinnert, dass im Nachbarort ein Fahrsicherheitszentrum ist. Da dachte ich mir: Ich ruf jetzt einfach mal dort an, erklär die Situation, und vielleicht darf ich ja mit meinem Privatfahrzeug eine kleine Runde über die Schleuderplatten drehen. Dann hat der Junge zumindest ein bisschen „Rallyefeeling“.
Gesagt, getan. Die Dame am Telefon meinte: „Wir haben eine bessere Idee! Wir haben hier einen Mitarbeiter, der ist Staatsmeister im Rallyefahren.“
24 Stunden später standen wir im Fahrsicherheitszentrum. Ein knalloranger Rennbolide mit über 480 PS wartete bereits. Der achtjährige durfte vorne einsteigen, ich saß hinten – und los ging’s.
Der Junge hat vor Freude geschrien. Ich hinten eher vor Angst … 😅
Ein Moment, der etwas ins Rollen brachte
Florian: Aus diesem einen Erlebnis entstand etwas, das heute vielen Menschen Hoffnung schenkt: Rollende Engel.
Ein Verein, der Herzenswünsche erfüllt – besonders für Menschen, die schwer erkrankt sind, deren Alltag von Pflege und Schmerzen geprägt ist und bei denen oft nicht mehr viel Zeit bleibt.
Die Mission: Nicht dem Leben mehr Tage geben – sondern den Tagen mehr Leben
Florian: Unsere Mission ist es, österreichweit schwerkranken Menschen kostenlos ihren letzten Herzenswunsch zu erfüllen.
Dafür haben wir den Verein Rollende Engel gegründet. Seit 1. Jänner 2020 sind wir aktiv.
Der Verein besteht ausschließlich aus ehrenamtlichen medizinischen Fachkräften: Notfallsanitätern, diplomierten Krankenpflegern, Intensivpflegern bis hin zu Ärzten. Sie alle arbeiten unbezahlt in ihrer Freizeit.
Mittlerweile sind wir mit zwei rollenden Intensivstationen in ganz Österreich unterwegs und erfüllen unterschiedlichste Wünsche – so gut es geht.
Welche Arten von Herzenswünschen erfüllt ihr?
Florian: Wir wissen vorher nie, wann der nächste Notruf kommt, was gewünscht wird oder wohin die Reise geht. Es sind oft ganz kleine, aber bedeutende Wünsche – Dinge, die für gesunde Menschen selbstverständlich sind, wie zum Beispiel:
- Noch einmal nach Graz zur Quetschn Academy fahren.
- Am Wochenende eine Wanderung machen.
- Ein letztes Konzert besuchen.
- Den Lieblingsplatz aus der Jugend wiedersehen.
- Einen Künstler treffen oder hinter die Kulissen schauen.
Es geht nicht um große Träume, sondern um Herzenswünsche, die ohne „Rollende Engel“ nicht mehr möglich wären – weil die Betroffenen bettlägerig sind oder medizinisch betreut werden müssen.
Gibt es eine besondere Wunscherfüllung, die dir in Erinnerung geblieben ist – mit Bezug zur Steirischen Harmonika?
Florian: Oh ja. Grundsätzlich bleiben mir alle Wunscherfüllungen tief in den Knochen stecken – sie sind traurig, aber gleichzeitig wunderschön.
Bezogen auf die Steirische Harmonika fällt mir ein Erlebnis vor ein paar Tagen ein: Ein schwerkranker Mann hatte sich gewünscht, noch einmal mit seinen Freunden zusammen zu musizieren. Er war Gitarrist. Also haben wir ihm diesen Wunsch erfüllt.
Wir haben einen Saal organisiert, über 40 Freunde waren da. Er hat – so gut es ging – seine Gitarre ausgepackt und gespielt. Ich hatte meine Harmonika dabei, und als ich anfing zu spielen, wurde aus der Verabschiedungsfeier fast ein Volksfest – mit Bieranstich, Mitschunkeln, Singen. Drei Stunden lang pure Freude – trotz aller Schmerzen.
Wie reagieren Betroffene und ihre Familien auf eure Arbeit?
Florian: Sehr positiv. Sehr dankbar. Wenn sie uns verständigen, sind wir oft innerhalb weniger Stunden im Krankenhaus oder sogar privat zu Hause und erfüllen den Wunsch.
Die Familien nehmen uns sehr herzlich auf – oft so intensiv, dass es beim Abschied weh tut. Manchmal fühlt es sich an, als würde man Freunde oder Familienmitglieder zurücklassen.
Diese Dankbarkeit ist unglaublich berührend.
Gibt es einen Wunsch, den du selbst als besonders bewegend empfunden hast?
Florian: Ja. Eine 30-jährige Frau – bildhübsch, aber vom Leben und der Krankheit gezeichnet – wollte unbedingt ein Konzert von Seiler und Speer besuchen.
Die Band hat sich Zeit genommen, sie backstage kennengelernt und dann kam der große Moment: Direkt vor dem Konzert hat Christopher Seiler zum Mikrofon gegriffen und gesagt:
„Wisst ihr, liebe Leute, heute sind wir besonders nervös. Denn da unten steht die Sandra. Sie wurde vom Verein Rollende Engel hierher gebracht. Sandra, egal was passiert – wir tragen dich in unseren Herzen.“
Dann haben sie ihr das Lied “„Hödn“ gewidmet.
Sandra ist zehn Tage später verstorben.
Aber Seiler und Speer erzählen bis heute auf jeder Deutschlandtournee ihre Geschichte – von Sandra und von unserem Verein. Diese Unterstützung ist für uns unbezahlbar.
Wie kam es dazu, dass die Steirische Harmonika bei euch so oft vorkommt?
Florian: Wenn ich ehrlich bin: Die Fahrgäste werden meistens „zwangsbeglückt“. 😂
Viele sagen: „Ach, ihr braucht doch keine Musik organisieren.“
Aber ich nehm dann doch die Quetschn mit – drück zwei-, dreimal auf die Tasten – und plötzlich hört niemand mehr auf. Die Musik wird angenommen, mitgesungen, mitgeschunkelt.
Gerade in der Steiermark passt die Harmonika perfekt ins Bild und schafft oft eine unglaublich stimmige Atmosphäre.
Warum hat Musik – und speziell die Harmonika – so große Bedeutung für viele Menschen?
Florian: Weil die Harmonika ein geniales Instrument ist. Du hast Melodie und Begleitung. Sie ist kompakt. Du kannst sie überallhin mitnehmen, und sie klingt einfach gut.
Egal ob Volksmusik, Schlager oder moderne Stücke – alles ist möglich. Sie ist ein Modeinstrument geworden.
Früher wurde man vielleicht schief angeschaut, wenn man in der Stadt Harmonika gespielt hat. Heute ist sie überall angekommen. Und ich finde, da hat auch Quetschn Academy viel beigetragen, um das Instrument populär zu machen.
Was sind die größten Herausforderungen in eurer Arbeit?
Die größte Herausforderung ist die Zeit.
Florian: Wir dürfen keine verlieren. Wenn ein Wunsch reinkommt, muss ich schnell reagieren – egal wo in Österreich. Es geht oft um Minuten. Die Patienten sind schwer krank, manchmal sterbenskrank. Da darf nichts schiefgehen.
Auch die Organisation ist fordernd: Erreiche ich rechtzeitig den Museumsleiter? Klappt es mit dem Caterer? Alles muss passen. Das sorgt für viele graue Haare.
Manchmal kommen auch drei Notrufe gleichzeitig. Dann muss alles schnell geplant und umgesetzt werden – ohne dass wir den Überblick verlieren.
Wie finanziert ihr euch und wie kann man euch unterstützen?
Florian: Wir finanzieren uns ausschließlich über Spenden und Patenschaften. Manche unterstützen uns mit 7 € im Monat, andere spenden nach einem Weihnachtsstand oder einer Veranstaltung.
Aber auch anders kann man helfen: Einfach die Augen und Ohren offen halten! Wenn man irgendwo mit einem Schicksalsschlag in Berührung kommt – an uns denken!
Erzählt im Kaffeehaus oder im Wirtshaus von uns. Auf unserer Homepage www.rollende-engel.at kann man Plakate herunterladen und in Firmen, Küchen oder Schwarzen Brettern aufhängen. Das hilft uns enorm, bekannt zu werden – ganz ohne Werbungskosten.
Was hat es mit dem Virtuellen Charity Rollende Engel Run auf sich?
Florian: Wir wollten unseren Verein bekannter machen und haben uns gedacht: Menschen, die nicht mehr laufen können, würden sich wünschen, dass jemand für sie läuft.
Also veranstalten wir den Virtuellen Charity Run – vom 25. bis 27. April. Jeder kann mitmachen, egal wo. Ob Laufen, Nordic Walking oder Dog Walking – jeder Kilometer zählt.
Für jeden zurückgelegten Kilometer erhalten wir Gutschriften für die nächste Wunschfahrt. Wenn also jemand 10 km läuft, haben wir 10 km mehr für unsere Einsätze.
Das Ziel: Aufmerksamkeit, Beteiligung und vor allem – viele erfüllte Herzenswünsche.
Wie kann man mitmachen und helfen, Wünsche zu erfüllen?
Florian: Ganz einfach – indem man von uns erzählt.
Je mehr Menschen wissen, dass es uns gibt, desto besser. Ob im Freundeskreis, am Stammtisch, in der Arbeit oder im Wirtshaus – jede Weiterempfehlung hilft uns, Herzenswünsche zu erfüllen.
Auch auf Social Media kann man uns unterstützen – indem man uns auf Facebook oder Instagram folgt. Denn dort teilen wir immer wieder aktuelle Wünsche oder Notfälle, bei denen wir auf Hilfe aus der Community angewiesen sind.
Zum Beispiel: Ein Herr wollte am nächsten Tag unbedingt das Formel-1-Rennen schauen – als riesiger Ferrari-Fan. Aber er hatte nur einen Wunsch: in roter Ferrari-Bettwäsche im Wohnzimmer liegen.
Es war 19 Uhr, alle Geschäfte hatten zu. Was tun?
Wir haben den Wunsch auf Social Media gepostet – und keine Stunde später meldete sich jemand aus der Region mit genau dieser Ferrari-Bettwäsche. So etwas ist für uns Gold wert. Kleine Gesten, große Wirkung.
Wer uns folgt und bei solchen Aktionen mithilft, ist für uns ein Engel – ein stiller Helfer im Hintergrund. Und davon brauchen wir viele.
Welche Pläne habt ihr für die Zukunft des Vereins?
Florian: Unser wichtigster Plan: gesund bleiben. Für mein Team und mich. Denn ohne Gesundheit können wir diesen Dienst nicht leisten.
Dann wünschen wir uns, dass unser Verein in ganz Österreich so etabliert wird, dass man – neben den klassischen Notrufnummern – auch an uns denkt, wenn es um den letzten Wunsch eines schwerkranken Menschen geht.
Wir wollen so aufgestellt sein, dass wir keine einzige Wunschanfrage ablehnen müssen – weder wegen eines fehlenden Fahrzeugs, noch wegen Personalmangels oder – im schlimmsten Fall – weil das Geld für eine Reparatur fehlt.
Unser Ziel ist es, das aktuelle Niveau zu halten: zwei top ausgestattete Fahrzeuge, ein engagiertes Team, verlässliche Abläufe.
Natürlich freuen wir uns, wenn wir wachsen – aber nicht um jeden Preis. Uns geht es nicht um Größe, sondern um Qualität. Und darum, dass wir für jeden Menschen da sein können, der noch einen letzten Wunsch hat.
Ein letzter Gedanke von mir
Ich hab viele Gespräche geführt. Aber dieses Gespräch mit Florian hat mich verändert.
Denn manchmal reicht ein Beifahrersitz – und ein Herz, das Ja sagt.
Und dann rollt plötzlich mehr als nur ein Auto los.